Die progressive multifokale Leukoenzephalopathie (kurz PML) wird von „progressiv“ gleich fortschreitend, „multifokal“ gleich an verschiedenen Orten lokalisierbar, „leuko enzephalo“ gleich weiße Hirnsubstanz abgeleitet. Es handelt sich hierbei um eine sehr selten vorkommende und fortschreitende Erkrankung des Gehirns bzw. des zentralen Nervensystems – kurz ZNS –. Hier kommt es zu einer Demyelisierung (Entmarkung) des Gehirns. Manifestiert sich die PML, geht dies in den meisten Fällen tödlich aus. Der Tod tritt meisten innerhalb von 3 bis 20 Monaten ein. Im „günstigsten“ Fall kommt es bei einer PML jedoch zu schweren Behinderungen.
Ursachen der PML
Inhaltsverzeichnis zum Thema Progressive multifokale Leukoenzephalopathie:
Der Begriff PML wurde das erste Mal im Jahr 1958 von Aström et al. für eine derartige demyelinisierende Gehirnerkrankung eingeführt, die als sehr selten auftretende Komplikation bei einer chronischen lymphatischen Leukämie oder der M.-Hodgkin-Erkrankung auftrat. In den folgenden Jahren wurde die Annahme einer viralen infektiösen Genese der PML durch den Nachweis von intranukleären Einschlüssen untermauert. Im Jahr 1971 gelang dann schließlich die Isolierung sowie Kultur der papovaartigen Viren aus dem erkrankten Gewebe. Die Bezeichnung des JC-Virus geht auf die Initialen des ersten Patienten zurück, bei dem auch erstmals der Virus aus dessen Gewebe isoliert wurde.
Normalerweise führt eine Infektion mit dem JC-Virus nicht zu einer Erkrankung. Bei ungefähr 40 bis 80 Prozent aller gesunden erwachsenen Menschen können die auslösenden Papovaviren nachgewiesen werden, ohne dass es zu entsprechenden Symptomen bzw. Krankheitszeichen kommt.
Zum Krankheitsbild einer PML mit einer fortschreitenden Demyelinisierung der weißen Hirnsubstanz kommt es dann zu einer Aktivierung des JC-Virus. Bei der Aktivierung des zuvor latent (verborgenen) vorhandenen JC-Virus spielt nach medizinischer Ansicht eine sogenannte Immunsuppression eine wesentliche Rolle. Dabei kann diese Immunsuppression auf eine Erkrankung zurückgehen, wie zum Beispiel eine Infektion mit dem HIV-Virus oder auf eine Autoimmunerkrankung. Auch eine schwere Krebserkrankung kann hierfür verantwortlich sein. Auch eine Therapie mit Immunsuppressiva, die bei einer Abwehrschwäche zum Einsatz kommt, kann ursächlich sein. Bei Immunsuppressiva handelt es sich um Medikamente, die das Immunsystem schwächen oder auch beeinträchtigen können. Häufig kommen jedoch mehrere Faktoren zusammen, wie zum Beispiel eine Autoimmunerkrankung sowie die zur Behandlung notwendige Therapie.
Allerdings ist es bis heute noch nicht gänzlich geklärt, warum es bei den meisten Patienten, die an einer schweren Autoimmunerkrankung leiden und trotz einer immunsuppressiven Therapie nicht zu einer entsprechenden Aktivierung des JC-Virus kommt. Des Weiteren ist ebenfalls noch nicht geklärt, warum sich in seltenen Einzelfällen aus der verborgenen Infektion eine PML entwickelt.
Bei T-Zell-Immungeschwächten wird angenommen, dass das JC-Virus vom Nierengewebe und/oder auch dem Knochenmark über Leukozyten in das ZNS gelangt. Im Großhirn, Hirnstamm, Zerebellum (Kleinhirn) und im Rückenmark kommt es dann zu einer Replizierung der weißen Substanz. Hier werden die Nervenscheiden (Myelinscheiden), die sich an den Nervenfortsätzen der Oligodendrozyten befinden, nicht nur befallen, sondern degenerieren auch.
Symptome der PML
Die Symptome einer beginnenden PML können sich in Form von Sehstörungen zeigen, die bis zur vollständigen Erblindung führen können. Auch Bewegungsstörungen (motorische Dysfunktionen) können auftreten. Darüber hinaus kann es zu kognitiven Beeinträchtigungen kommen, wie zum Beispiel Konzentrations-, Merkfähigkeits- und Denkstörungen, Verhaltensänderungen, zunehmende Schwäche, Lähmungserscheinungen sowie weitere Symptome, die einem Schlaganfall ähneln.
Der Verlauf dieser Erkrankung ist stets subakut und chronisch-progredient. Das heißt, die Krankheitssymptome entwickeln sich immer voranschreitend über Wochen. Dabei ist genau dies ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal in der Abgrenzung einer PML gegenüber einem Multiple-Sklerose-Schub, denn dieser verläuft in der Regel wesentlich schneller. Zudem treten stabile Phasen, Remissionen oder Fluktuationen des Verlaufs bei einer PML nicht auf.
Ein häufiges Problem ist, dass eine Gehirnbeteiligung bei sogenannten immunologischen Systemerkrankungen, wie zum Beispiel bei einer cerebralen Vaskulitis bei Lupus-Patienten, sehr ähnliche Krankheitssymptome auftreten. Aufgrund der naheliegenden Vermutung, dass bei einem Krankheitsschub die medikamentöse Immunsupressionstherapie noch intensiviert wird, kommt es zu einem beschleunigten Fortschreiten der PML.
Diagnosestellung und Therapie der PML
Anhand von alleinigen klinischen Kriterien ist die Diagnose einer PML nicht möglich. Demnach erfolgt die Diagnosestellung der PML durch entsprechende neurologische Untersuchungen, wie zum Beispiel die Magnet-Resonanz-Tomographie (Schädel-MRT) sowie die Kernspin-Untersuchung des Gehirns. Auch eine Lumbalpunktion mit PCR-Untersuchung des Liquors im Gehirn und der Rückenmarksflüssigkeit kommt hier zum Einsatz. Jedoch hat die Magnet-Resonanz-Tomographie den größten Stellenwert in der Diagnostik der PML.
Zurzeit kann nicht gesagt werden, wie bei Patienten mit zum Beispiel einer HIV-Infektion, immunsupprimierten Krebspatienten, Transplantationspatienten oder Patienten mit Autoimmunerkrankungen eine PML-Entwicklung verhindert werden kann. Zudem existiert bis heute kein etabliertes Therapiekonzept, mit dem eine ausprägte PML-Erkrankung auch wirksam behandelt werden kann.
Bei AIDS-Patienten konnte jedoch die Schwere der Erkrankung wie auch die Sterblichkeit durch die hochdosierte antiretrovirale Therapie namens HAART reduziert werden. Im Zuge dieser Therapie stieg die Zahl der so wichtigen T-Zellen. Indes kann eine PML nur dann überlebt werden, wenn eine schnelle Rekonstitution des Immunsystems hergestellt bzw. erreicht werden kann. Bei HIV-positiven PML-Patienten konnte so nach der Einführung der HAART-Therapie in den 90iger Jahren die Überlebenszeit deutlich verbessert werden. Inzwischen haben einige dieser PML-Patienten ihre Erkrankung mehr als zehn Jahre überlebt. Jedoch ist die Rückbildungsfähigkeit der neurologischen Defizite in den meisten Fällen nur gering.